(c) Kaupo Kikkas

Bagger oder Blumen? – Gedanken von Liisa Randalu

Applaus. Es gibt Bravo-Rufe. Wir erheben uns nach ungefähr 50 Minuten Beethoven op. 131 von unseren Stühlen, der Schweiß rinnt uns den Körper herunter und eine völlige Erschöpfung, gepaart mit Euphorie und Erleichterung macht sich breit. Wir haben alles in und durch die Musik gegeben. Dieses Werk fragt nicht nach Optionen oder Möglichkeiten (oder gar Geschlecht), es verlangt das Maximum an Können und Ausdruck – ein Grenzgänger(-sprenger) in jeder Hinsicht. Nach weiterem Applaus und einer Zugabe richtet der Veranstalter abschließende Worte des Dankes an uns, und wir bekommen traditionell ein Geschenk. Ich erspähe an Form und Größe, dass es sich um Wein handeln muss. Wie schön, die Gegend ist bekannt für ihre guten Weine. Bei mir angekommen, streckt mir die freundliche Dame einen Blumenstrauß entgegen.

Okay. Meine Kollegen bekommen Wein, ich bekomme Blumen.

Dankend nehme ich sie entgegen, sie sind wunderschön. Ich liebe Blumen, keine Frage. Aber eine Frage drängt sich mir dennoch auf: Wie kommt es dazu? Beispiele dieser Art gibt es einige. Es gab Konzerte, nach denen die Herren komplett mit leeren Händen dastanden, und ich daneben mit einem großen Blumenstrauß. Oder ich einen Weißwein und meine Kollegen Rotwein bekamen. Sogar mit der Art der Schokolade wurde schon unterschieden, ohne dass ich das hier näher erläutern müsste. Es wird also ein Unterschied gemacht. Dreht man das als Gedankenexperiment mal um, die Damen bekommen die Flasche Alkohol und die Herren einen prächtigen Blumenstrauß, dann ruft das unweigerlich eine Komik hervor – oder vielleicht wäre das mal ein interessantes Gesellschaftsexperiment? Auch hinter der Bühne kristallisiert sich immer wieder ein Bild heraus, das in der Wirtschaft schon lange Thema ist. Männer werden im beruflichen Kontext in erster Linie als geschlechtsneutral wahrgenommen und somit rückt ihre Leistung und Rolle im jeweiligen Berufsfeld in den Vordergrund. Frauen werden zuvorderst als Frauen wahrgenommen; das schöne Kleid, der elegante Hosenanzug, die blonden Haare … und dann natürlich auch Können und Leistung.

Ist das ein Problem? Nein. Und ja.

Das Bild evoziert eine imaginäre Sandkastenszene: ich sitze mit einem Jungen da, wir bekommen Spielsachen gebracht. Ich strecke mich nach dem Bagger und bekomme das Ponyförmchen, während mein Spielkamerad den Bagger bekommt. Aus irgendeinem Grund ist für mich von vornherein das Ponyförmchen bestimmt, ganz selbstverständlich. Als Kinder interessieren uns Geschlechterrollen recht wenig, allerdings bekommen wir schon früh einen Bewertungskatalog mit auf den Weg, der uns Orientierung gibt, was anscheinend besonders weiblich und was besonders männlich ist. Ich bin gerne eine Frau, und ich empfinde die gegebenen Unterschiede und individuellen Qualitäten von Männern und Frauen nicht nur als schön, sondern –gerade auch im beruflichen Kontext – als sich gegenseitig bereichernd und ergänzend. Visuelles Auftreten spielt eine große Rolle und ich persönlich bin sehr dafür, dass Menschen sich stilvoll präsentieren, die in einer exponierten Position, wie zum Beispiel der Bühne, agieren, und ihre Kunst mit anderen teilen – ob man damit individuell die eigene Persönlichkeit unterstreicht oder damit eventuell sogar die Erwartung der Leute irritiert, um auf diese aufmerksam zu machen, hat beispielsweise Lady Gaga mit ihren provokanten Outfits auf den Punkt gebracht. Letzen Endes ist es doch so: wir sind alle Menschen, und wir alle haben unsere ganz individuelle Art unsere einzigartige Persönlichkeit und Kompetenz zum Ausdruck zu bringen – ob im Alltag oder im Job, sprich auf der Bühne. Und dafür möchte auch jede*r wahrgenommen werden; egal, ob das nach Katalog nun besonders weiblich oder männlich ist. Der Frauenanteil in der Musikbranche bewegt sich aus eigener Erfahrung bei ca. einem Fünftel. Wie es schon die Genderforschung anregt, sollten wir alle unsere internalisierten Vorstellungen hinterfragen, und generell kann man Frauen nur dazu ermutigen sich sichtbarer zu machen in jeder Position. Wenn das von außen zusätzlich bestärkt, gesehen und wertgeschätzt wird, umso schöner – nach einem Konzert mit noch fünf weiteren Kollegen stand ich gemeinsam mit acht Männern auf der Bühne. Wir alle bekamen Blumen, doch bei mir steckte noch zusätzlich eine rote Rose mit drin. Eine sehr schöne und dezente Art Anerkennung und Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen, ohne offensichtlich zu unterscheiden.

Wenn wir alle Bagger bekommen, dann nehme ich auch den grünen*, kein Problem.

*roten, gelben, bunten mit Glitzer

Schumann Quartett, Pablo Barragán, Quatuor Van Kuijk
Schumann Quartett, Pablo Barragán, Quatuor Van Kuijk