Kammermusik-Romantik von Friedrich Gernsheim: Diogenes-Quartett legt ersten Teil seiner Streichquartette vor

Dass er sich der Wertschätzung, ja vielleicht sogar der Freundschaft des Johannes Brahms erfreute, sollte eigentlich Beweis genug für die Qualität seiner Kompositionen sein. Dennoch ist Friedrich Gernsheim heute bestenfalls eine Randerscheinung im Konzertrepertoire. Gernsheim gehört ganz sicher zu den Komponisten, die immer noch zu Unrecht unter den Folgen des Nazi-Banns leiden, mit dem sie als Juden belegt wurden, und die nach 1945 nie wieder den Weg in die Konzertsäle fanden; eine große Renaissance, wie sie Mendelssohn oder Mahler erfuhren, blieb ihm verwehrt.

Das Diogenes Quartett will das ändern: Gernsheim begleite sie schon eine ganze Weile auf ihrem Quartettweg, sagen die Vier, und folgerichtig bringen sie nun auch die nach ihrer Einschätzung „äußerst hörenswerten“ Streichquartette des großen Unbekannten heraus, nachdem sie 2009 bereits dessen Klavierquartette 1 und 3 einspielten. Gernsheims Umfeld im späten 19. Jahrhundert gibt ihnen Recht: Nicht nur Brahms zählte zu seinen persönlichen Bekannten und Förderern, auch mit weiteren Größen der Zeit wie Max Bruch, Ignaz Moscheles und Josef Joachim verkehrte er regelmäßig kollegial bis freundschaftlich; von den zahlreichen Kontakten seines frühen fünfjährigen Aufenthaltes in Paris ganz zu schweigen. Wegen seiner vielfältigen Begabungen wird der in Worms geborene Gernsheim oft und gern der „Pfälzer Mozart“ genannt. 1916 starb er hoch betagt und höchst angesehen in Berlin; er muss zeitlebens ein begnadeter internationaler Netzwerker gewesen sein. Das aber war wie erwähnt ganz sicher nicht sein einziges Talent: Alle erwähnten Musikerkollegen stellten immer die besondere Güte seiner Kompositionen heraus.

Für das Diogenes Quartett hat er vor allem „sehr ausdrucksstarke und phantasievolle“ Musik geschrieben. Die kompositorische Qualität aller fünf Gernsheim-Quartette zeigt sich auch in der sicheren Beherrschung der Form und der Raffinesse der Stimmführung. Das erste Quartett, 1872 entstanden, orientiert sich an der klassischen Satzfolge; der Schlusssatz „Rondo all‘ ongharese“ gilt als früher Höhepunkt in Gernsheims Kammermusikschaffen. In einigen der wohl unvermeidbaren qualitativen Vergleiche mit ähnlichen Kompositionen des Freundes Brahms („Rondo alla zingarese“ aus dem Klavierquartett op. 25) halten Experten keineswegs den Sieg des berühmten Norddeutschen für ausgemacht. Das hier ebenfalls eingespielte dritte Quartett aus dem Jahr 1885 rückt – wie so oft gegen Ende des 19. Jahrhunderts – den Scherzo-Satz an die zweite Stelle; auch hier stellt Gernsheim seine uneingeschränkte Meisterschaft sowohl in der Stimmführung wie auch im Bedienen der emotionalen Palette von träumerisch bis tänzerisch unter Beweis.

Der „wunderbar weite Atem“ und die „berückend sensible Präsenz“, für die der Bayerische Rundfunk vor ein paar Monaten das 1998 in München gegründete Diogenes Quartett in seiner Einspielung von Quartetten Max Bruchs lobte, erweisen sich auch für Gernsheim als goldrichtig; dem Urteil „Kammermusik-Romantik vom Feinsten“ ist auch für die neueste Veröffentlichung bei cpo (VÖ 23.4.2019) nichts hinzuzufügen.

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https://www.youtube.com/watch?v=0jrnY2KJEUA