Vom tanzenden Blaufußtölpel bis zur reinen Liebe im Musizieren – Gedankenspiele von Ildikó Szabó

Womit beschäftige ich mich im Lockdown?

Vom tanzenden Blaufußtölpel, über social media und die Sehnsucht nach dem echten respektvollen Nebeneinander diverser Inhalte bis zur reinen Liebe im Musizieren …

Alles dreht sich immer und ganz natürlich bei mir um Musik, aber seit über einem Jahr sind Probe- und Konzertmöglichkeiten derart eingeschränkt, dass viel zusätzliche Zeit verfügbar und damit Themeneroberungen möglich sind – vielleicht auch nötig?

Also schreibe ich, mache Notizen, mir Gedanken, versuche alles auf Papier zu bringen, also versuche ich die Gedanken zu ordnen.

Ich sollte vielleicht über die tanzenden Blaufußtölpel (Sula nebouxii) auf den Galápagos-Inseln schreiben. Oder darüber wie ich Gänsehaut bekam, als ich das Geräusch zweier kollidierender Schwarzer Löcher hörte. Ich bin neugierig auf Neurobiologie, Yoga, Fußball, Filme und vieles mehr.

In meiner Jugend habe ich mehr geschrieben, hauptsächlich Gedichte. Das anspruchsvolle Schreiben erfordert Übung und hohe Qualifikation. Heutzutage kann jeder eine Meinung zu irgendetwas teilen. Auf Social-Media-Plattformen fließen und poltern die Beiträge und Kommentare nur so und die Autoren scheinen sich nur wenig Gedanken über die langfristigen Auswirkungen gemacht zu haben. Der Facebook-Feed – ein Dschungel mysteriöser Algorithmen – sieht in jedem Profil anders aus. Man kann sich leicht in parallele Realitäten verlieren – wie viele verschiedene Interpretationen können Fakten eigentlich haben?!

Bekannte Musiker werden häufig gefragt, wie sie die Zukunft der klassischen Musik sehen. Die Antwort lautet oft: vielversprechend! Strahlende Zukunft! So viele Talente entstehen. Die Zukunft ist doch sicher großartig, oder? Das romantische Bild von Musikern, sie seien Bohemien, depressiv, überempfindlich, scheint veraltet zu sein. Vom heutigen Musiker wird erwartet, dass er in sozialen Medien interagiert, sich gesund ernährt und vielleicht ein Fitness-Enthusiast ist. Viele verbringen mehr Zeit mit ihrem Image als mit dem eigentlichen Üben. „Fake it til you make it“? Obwohl endlich häufiger über Tabuthemen gesprochen wird, wie zum Beispiel die psychische Gesundheit (für Sportler ist es natürlich, Zugang zu Psychologen zu haben) oder Sexismus. Hinweise wie „für eine Frau spielen Sie aber überraschend sauber“ oder „das Cello ist ja ein sehr männliches Instrument“ kamen des Öfteren vor. Fragen zu meinem Familienstand aufgrund des Tragens eines Rings werden sogar als subtiler angesehen.

Weniger subtil ist die Tatsache, dass seit 2005 keine Cellistin einen ersten Preis in einem sogenannten „großen“ Cellowettbewerb gewinnen konnte. Ich wünschte, der Cellokosmos könnte ein bisschen mit der Geigenwelt aufholen und mehr Vielfalt unter den Interpreten haben, was Charakter, emotionale Palette, und das Repertoire betrifft. Die Welt sollte schließlich groß genug für uns alle sein und auch wirklich divers. Ich wünschte, Inhalte wären aussagekräftiger und die Anzahl der Likes und Follower wäre kein so wichtiger Faktor, wenn es um Verträge mit CD-Labels, Managern oder Veranstaltern geht. Das Erstellen von Inhalten, wenn „nichts passiert“ scheint im Laufe dieser Pandemie oft ein Schrei der Verzweiflung zu sein und führte zu zunehmend nachlässigeren Aufnahmen, die im Netz kreisen.

Ich habe das Gefühl, dass es einen „Jetzt oder Niemals“ – Moment in unserem Leben gibt – während dieser Pandemie, in der wir auf fast alles verzichten müssen, was uns zum Homo Sapiens (zum weisen Menschen!) macht. Menschen brauchen dringend Respekt füreinander, Empathie und Schönheit. sie brauchen Trost, um die Probleme des Alltags vergessen zu können. Paul Tortelier meinte: Philosophen sind Meister des Denkens, Musiker sind Meister der Liebe. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft dies erkennt und es einen Wendepunkt geben wird. Vielleicht werden soziale Medien als uncool angesehen, ähnlich wie die Sucht nach Rauchen nicht mehr modisch ist. Ich wäre zu naiv, um zu denken, dass Musik so rein ist, dass sie frei von Politik wäre. Ich hoffe jedoch, dass alle Bereiche nach der Pandemie weniger politisiert werden und Qualifikationen, Fakten und echte Inhalte wichtiger werden. Social Media sollte nicht zwischen uns stehen, um sozial zu sein.

Im wirklichen Leben.